Das "Tage"-Buch historisch und hysterisch
Die ollen Krümel von früher
In Briefkästen finden sich die verschiedensten Papiererzeugnisse: Postkarten (gut), Rechnungen (böse), Hochglanzmagazine (guuut), unverlangte Zeitungen (böse), Einladungen zu Kaffeefahrten (bingo!). Vor ein paar Jahren hätte ich mich beinahe mit Freunden zu sowas angemeldet um ein bisschen Investigativjournalismus zu betreiben, aber wir waren wohl doch nicht besoffen genug. Deshalb habe ich mir eben solchiges Ereignis von Bekannten und Verwandten schildern lassen. Aber zuerst zur oben erwähnten Einladung, üblicherweise im Format DIN-A5, dunkelgrüne Basisfarbe und dann mit vielen Bildchen bedruckt, die meistens so klein sind, dass die Zielgruppe dieser Fetzen schon gar nichts erkennen kann ohne Verwendung grosskalibriger Leselupen. Meistens ein Reisebus, viele Blumen und ein schicker Bauernhof, ab und zu auch mal ein See oder Viecher, die durch Putzigkeit das Rentnerherz höher schlagen lassen sollen (oder weil es zu Mittag Rehpfeffer gibt und man zeigen will, wo’s herkommt). Gross prangt meistens ein absoluter Spottpreis drauf, weil im Alter hat man ja nicht viel Geld und ein supergünstiger (normalerweise ist er nicht günstig sondern billig) Ausflug kommt wie gerufen um dem Muff der heimischen Schrank- oder Wohnwand (D oder CH) zu entkommen. Von hier aus ist das dann sehr beliebt, den Schwarzwald heimzusuchen, also man fährt ins Ausland, da hat man gleich noch die Exotik dazu, inklusive dieser Schwarzwaldtrachten mit den roten Knödeln auf den Frauenhüten. Ich dachte mal, auch Peinlichkeit hätte ihre Grenzen, aber so kann man sich irren. Wenn man nun an dieser Fahrt teilnimmt, bekommt man Spass, Spannung und was zu Essen, also eine Oldie-Überraschung, plus irgendwelche Goodies, die man auf dem wunderschönen Bauernhof, den man besucht FRISCH entgegen nehmen kann, alles inklusive! Das sind dann zum Beispiel ein Laib FRISCHES Bauernbrot, drei Dutzend FRISCHE Eier, einen FRISCHEN Hinterschinken oder gar einen FRISCHEN Bauern himself. Alte Leute können gar nicht so viel essen, wie sie da mitbekommen, bevor es verdirbt. Aber den FRISCHEN Apfelmost im edlen Steinkrug, den können sie saufen. Das macht die Fahrt auch gleich viel unterhaltsamer. Der Mitgröhlfaktor bei der im Bus gespielten Musik geht auch gleich bis unter die Wagendecke hoch, wobei die Musikstile sehr reduziert sind: Deutscher Schlager oder Volksmusik. Nun muss ich anfügen, dass Kaffeefahrten in der Schweiz noch etwas hardcorer sein müssten als in Deutschland. Ich weiss nicht viel über deutsche Volksmusik, aber unsere Senioren-Hood hier frönt noch dem Genuss der most krass Version of Volksmusic die es gibt: Dem Ländler. Umgangssprachlich hier auch Hudigäggeler genannt. Schrille Sache, je nach Kanton tun sich da verschiedene Spielarten, beziehungsweise sadomasochistische Abgründe auf. Für Verträglichkeit muss man wohl längere Zeit in höheren Regionen mit dünner Luft gelebt haben. In dem Kanton, wo ich gemäss Geburtsschein beheimatet bin, der nennt sich Appenzell (kleiner Bergkanton in der Ostschweiz mit genialem Käse, aber kleinen Häuschen in denen sich jeder durchschnittlich gewachsene Mensch die Stirn zertrümmert), da stehen zum Beispiel ein paar Männer in Trachten nebeneinander. Sie stecken ihre Hände in die Hosentaschen, schieben ihre Bäuche nach vorn und juchzen und jauchzen, was sich für Aussenstehende anhört, als würde ihnen konstant jemand die Eier klemmen. Daneben steht einer mit einer flachen Schüssel und schwingt darin ein Fünf-Franken-Stück (Fünfliber bzw. Foifliber bzw. Fööfliiber) und erzeugt ein sirrendes Geräusch. Ein weiterer Typ steht dahinter und schmeisst eine Schweizer Fahne in die Luft und versucht dabei, sich beim Auffangen nicht selber zu erschlagen. Es können auch mehr Geld- und Fahnenschwinger sein oder sie werden noch malerisch durch Alphornbläser verziert, wobei die eher in anderen Teilen der Schweiz auftreten. Zumindest ist der dabei entstehende Sound unterhalb einer gewissen Altersgrenze nur auf Appenzeller Kräuterschnaps zu ertragen. Einer MENGE davon. Zurück zur Kaffeefahrt, denn da fehlt noch etwas, nämlich das Kleingedruckte: „Durch die Teilnahme an dieser Reise verpflichten Sie sich dazu, eine Produktevorführung der Firma Abzock GmbH über sich ergehen zu lassen, bzw. Ihre Seele zu verkaufen“. Oder so ähnlich, was beides aber fast auf das Gleiche rausläuft. Dieser Produktevorführung folgen die Reisenden dann nicht nur, nein, die hypnotische Beschwatzungskraft der charismatischen und ach so witzigen Verkäufer gipfelt darin, dass alle so eingelullt sind vom Gefasel der Anbieter, wie sie es kurz darauf sind, nämlich in der frisch erworbenen Heizdecke in Holzfälleroptik. Auch Mumientoaster genannt. Aber auch Badewannensprudeleinsätze zur Massage oder Furztarnung sind immer wieder Renner. Oder Wundermittelchen zum Einreiben bei Rheuma. Die funktionieren ganz genial: Man reibt sich das ein und das Zeug stinkt so barbarisch, dass man sofort vor sich selber wegrennen will und SIEHE ICH KANN WIEDER GEHEN! Funktioniert! Ach ja, das Schneidebrettchen mit echter Schwarzwälder Schnitzerei war auch umsonst. Damit können sich die Damen und Herren an die Stirn kloppen, weil sie so doof waren, die Tour mitzumachen. Wie schon im Monat zuvor. Und in dem davor…
*wegbrülllllll*
*nichtssagenkannweilvorlachenuntermtischliegundnichtmehraufstehenkann* ;D
Klischees die du da wieder verbreitest… :-). Sooo klein sind die Appenzeller nun auch wieder nicht, aber mit dem Käse, da geb ich dir recht!
Übrigens kommen unsere Wurzeln anscheinend aus der selben Ecke der Schweiz…
Meinereiner ist mit Wurzeln im Rheintal geboren worden :-).