Das "Tage"-Buch historisch und hysterisch
Die ollen Krümel von früher
Tatsächlich, von Freitag auf Samstag hat es bis zu uns runter geschneit und es ist liegen geblieben. Nur auf den Wiesen zwar, aber immerhin, es war weiss am Morgen, Puderzucker auf dem Landschaftskuchen. Die fallenden Blätter der letzten Wochen waren auch schon ein Hinweis darauf, dass sich das Jahr dem Ende nähert, aber jetzt ist es wohl offiziell, dass es einwintert. Man muss sich damit abfinden, dass geplante Aktivitäten wie Freibad, Rollschuhlaufen oder Parkbanksitzen, die man sich zwar vorgenommen, aber nicht durchgeführt hat, besser auf nächstes Jahr verschoben werden sollten. Jaja, mach ich noch, ist ja noch ein paar Wochen warm. Platsch. Schnee. Enden können unerwarteter eintreffen als man denkt. Man nimmt sich etwas vor, man plant und dann kommt alles anders, weil einem plötzlich die Zeit oder das Wetter fehlt. Warum tut man es nicht einfach? Keine Zeit? Kein Mut? Man schreibt es in den Kalender und schiebt und schiebt es weiter, weil irgendwann kommt schon der richtige Zeitpunkt. Aber wie erkennt man den richtigen Zeitpunkt? Was ist, wenn es plötzlich keine Zeitpunkte mehr gibt? Steht man an der Himmelspforte und Petrus guckt uns an und sagt: „Du kannst rein, aber deine hundertseitige To-Do-Liste bleibt draussen“.
Gut, es muss ja nicht gleich da rauf gehen (oder runter), aber wissen wir es? Andere Menschen setzen sich in eine Bar und starren in ein halb leeres Bierglas (in DEM Moment ist es NICHT halb voll) und melancholisieren vor sich hin. Ich lass es an euch aus, aber da müsst ihr jetzt durch. Also, warum? Verpassen wir da nicht möglicherweise etwas Grandioses, wenn wir rausschieben? Ich habe letzten Silvester eine Wette abgeschlossen, dass dieses Jahr mein erster Roman fertig wird und ich habe diese Woche bekannt gegeben, dass die Wette als verloren gelten wird, weil ich nicht fertig werde. Nicht, dass ich es nicht gekonnt hätte, ich habe es rumgeschubst. Ich weiss nicht warum. Angst? Angst, dass das Buch tatsächlich beendet wird und veröffentlicht wird? Dann stelle ich fest, dass ich mich dem öffentlichen Vergleich stellen muss, Kritiken einstecken muss, mit denen ich nicht umgehen kann. Keiner ausser ein paar Hardcorelesern kauft es. Es wird zerrissen. Es wird gelobt. Es wird überhaupt nicht beachtet. Es steht in einem Regal und es kommt an.
Ist es das, wovor ich Angst habe? Dass etwas GUT wird? Zeitweise kommt es mir so vor, dass wir inzwischen so gedrillt sind, dass wir mit Glück gar nicht richtig umgehen können. Einfach hinnehmen können, wenn es nicht beschissen läuft. Oder erwarten wir zuviel? Von uns? Von anderen? Ist ein Ding vielleicht einfach das, was es ist, wir hätten es aber gerne MEHR und machen es dadurch kaputt? Müssen wir uns erst darüber klar werden, was wir eigentlich wollen und womit wir zufrieden sein könnten oder nicht nur zufrieden sondern glücklich? Ehrlich sein, sich selber gegenüber und den Menschen um uns herum gegenüber. Ja, ja, mach ich, ist ja noch Zeit. Vielleicht. Was aber, wenn ich das, was ich sagen will, nie mehr sagen kann? Vielleicht hätte ich zwei Menschen glücklich machen können, vielleicht aber eine Erwartung und Hoffnung zerstört. Aber ich hätte es nicht weggedrängt. Klarheit. Auch hier wieder, keine Zeit oder kein Mut. Angst vor dem, was kommen kann. Warum fällt es uns so leicht, einem Menschen „Arschloch“ an den Kopf zu werfen, aber nicht „ich hab dich gern“? Weil wir das nicht gewohnt sind. Wir können damit gar nicht umgehen, behaupte ich jetzt mal so ganz locker. Oder wir können nicht mit der Antwort umgehen.
Wenn wir jemanden beleidigen, brauchen wir nicht aus der Deckung zu kommen, das ist wie Wasserbombenwerfen vom Balkon. Man schaut kurz übers Geländer und wirft. Beim Überreichen von Blumen steht man dem Empfänger gegenüber und man steht da und ist hilflos. Eine Katze, die auf dem Rücken liegt. Dann ist das Gegenüber dran und nun mal ehrlich, wer würde sich als Katze auf den Rücken legen und hoffen, die andere Katze… ähm… Person krault einem den Bauch? Aber bleiben wir bei den Blumen. Variante eins: Der Strauss landet in unserem Gesicht. Klare Aus- und Absage. Variante zwei: Das Gegenüber landet in unserem Gesicht: Klare Aus- und Zusage. Variante drei: Unbestimmtes Lächeln. Gar nichts Klares. Das wäre also in der Bilanz eine Zweidrittelmöglichkeit, dass es nicht so endet, wie in unserem Traumdrehbuch. Dass die Gegenseite alles ganz anders sieht. Also liegt es doch nahe, dass man ganz einfach den Blumenstrauss in den Kalender schreibt und schiebt. Und schiebt. Und schiebt. Bis der Winter kommt und der Strauss erfriert. Dabei hätte der/die Beschenkte einfach gelächelt und gedacht „Mist, das stand doch auch noch in meinem Kalender“. Vielleicht. Vielleicht nicht. Haben wir mehr Angst davor, dass es in die Hose geht oder dass es gut gehen könnte? Wir wissen es nicht und zwar so lange nicht, bis wir den Zeitpunkt gefunden haben und es rausfinden. Entweder wir oder das Gegenüber. Irgendwann. Vielleicht noch bevor der letzte Schnee fällt.
der spruch "ich habe keine zeit für…" ist eh total faul…
wir hätten jede menge zeit, nur die prioritäten werden anders gesetzt…
Oder es ist ein typisches WIWWIW (wenn ich wüßte, was ich wollte) – nur nicht festlegen, man könnte ja die ein oder andere Chance verpassen. Und während man unschlüssig ist, was am besten zu tun ist, verstreicht die Zeit.